S-TB SH: Schleswig-Holstein-Tourismus: Von Hundert auf Null und wieder zurück? | 08.10.2020

Tourismus gehört zu den wichtigsten Wirtschaftsbranchen im Land Schleswig-Holstein. Das belegen die Zahlen aus dem aktuellen Sparkassen-Tourismusbarometer, das der Tourismusverband Schleswig-Holstein und der Sparkassen- und Giroverband für Schleswig-Holstein heute (8. Oktober) gemeinsam in Kiel präsentierten.

Das Sparkassen-Tourismusbarometer zeigt mit seinen Berechnungen zum Wirtschaftsfaktor Tourismus erneut die Bedeutung des Tourismus für das nördlichste Bundesland: Tourismus in Schleswig-Holstein steht für knapp 230 Millionen Aufenthaltstage pro Jahr, von denen über 140 Millionen auf Tagesgäste zurückgehen. Aus der Kombination mit den Ausgaben der Gäste vor Ort ergibt sich für das Vor-Corona-Jahr 2019 ein Bruttoumsatz von 9,7 Milliarden Euro. Tourismusminister Dr. Bernd Buchholz: „Das ist ein Rekordwert. Die größten Umsatzbringer sind mit Abstand der Tagestourismus mit 3,8 Milliarden Euro und die Übernachtungen in gewerbli-chen Beherbergungsbetrieben mit 3,6 Milliarden Euro.“

„In der derzeitigen prekären Lage sind diese Daten eine wesentliche Information für die Un-ternehmen, denn sie belegen die solide Ausgangssituation der schleswig-holsteinischen Tou-rismusbetriebe, die helfen kann, auch die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft rund um die Corona-Pandemie bewältigen zu können“, ergänzt Stephanie Ladwig, Vorsitzende des TVSH. Außerdem nimmt das Sparkassen-Tourismusbarometer die aktuelle Situation in den Blick. Zusätzlich zu den Zahlen 2019 werden die Auswirkungen auf die Corona-Pandemie auf das erste Halbjahr 2020 abgebildet. Reinhard Boll, Präsident des Sparkassen- und Giroverbands für Schleswig-Holstein: „Gerade jetzt hat sich das Sparkassen-Tourismusbarometer wieder einmal als ebenso sachlich fundiertes wie flexibles Marktforschungsinstrument erwiesen und zeigt, dass es auch und besonders in der Krise ein verlässlicher Begleiter der Branche ist.“

Mitte März 2020: Nichts ging mehr. Von einem Tag auf den anderen der absolute, globale touristische Lockdown. Der Tourismus war eine der Branchen, die 2020 als erstes und mit voller Wucht von der Corona-Krise getroffen wurden. Nach Berechnungen der dwif-Consulting GmbH und auf Grundlage des Wirtschaftsfaktors Tourismus 2019 ist allein für die am stärksten betroffenen Monate März und April 2020 mit Umsatzeinbußen von rund 880 Millionen Euro in den schleswig-holsteinischen Destinationen auszugehen. Wegen der vergleichsweise niedrigen Eigenkapitalquoten verfügen die meisten gastgewerblichen Betriebe in Schleswig-Holstein kaum über die Reserven, um eine derartige Krise monatelang durchzustehen. Zwar sind die Beherbergungsbetriebe hier mit einer Eigenkapitalquote von knapp 17 % im Median um einiges besser aufgestellt als vergleichbare bundesdeutsche Betriebe. Doch die Umsatzeinbußen treffen die Branche auch deshalb so hart, weil deren Fixkosten besonders hoch sind.

Die Lockerungen ab Mai kamen für den Tourismus in Schleswig-Holstein genau zum richtigen Zeitpunkt. Das Modellprojekt des Sparkassen-Tourismusbarometers Schleswig-Holstein, bei dem monatlich die Daten aus der Meldescheinstatistik von 10 Modellkommunen ausgewertet und mit diversen weiteren Informationen wie Ferienzeiten, Wetterentwicklungen oder Wirtschaftsdaten in Beziehung gesetzt werden, belegt dies wie folgt: Für den Zeitraum Januar bis August liegen die kumulierten Übernachtungsrückgänge in den Modellorten laut Meldeschein-statistik „nur“ bei 19,2 %.

Die Übernachtungszahlen des Statistikamts Nord zwischen Januar und Juli 2020 (aktuellere Daten liegen noch nicht vor) zeigen ein differenziertes Bild. Zwar ist Schleswig-Holstein im Vergleich zum Vorjahr mit einem Verlust von 28,4 Prozent noch vergleichsweise gut durch die Krise gekommen (Deutschland – 42,1 Prozent), jedoch ist immer ein genauerer Blick in die einzelnen Destinationen und Orte sowie Betriebstypen notwendig. Denn diese entwickeln sich im Zuge der Auswirkungen der Corona-Pandemie sehr unterschiedlich. Am schwersten betroffen sind der Städtetourismus, die Landgasthöfe sowie Teile des Binnenlands.

Der Qualitätsvorsprung, den sich der Schleswig-Holstein-Tourismus in den letzten Jahren aufgebaut hat, ist nach wie vor vorhanden. „Das Land liegt z.B. beim Trustscore (Online-Bewertungen der Unterkünfte) mit 87 von maximal 100 Punkten hinter Bayern bundesweit auf Rang 2. Allerdings wird aus der Analyse des TrustScore auch deutlich, dass es in der Qualitätsentwicklung immer wieder neuer Impulse bedarf - eine Daueraufgabe für Betriebe und Destinationen. Besonders bei der Hardware, der Kulinarik und der Ausstattung mit WLAN gilt es dranzubleiben“, so Peter Douven, stellvertretender Vorsitzender des TVSH.

Die bisherige Recovery-Phase im Tourismus zeigt, dass Schleswig-Holstein vergleichsweise gut durch die Krise steuert. Spätfolgen wie Finanzprobleme öffentlicher Haushalte, Investitionsstaus oder eine Verschärfung der Situation auf dem touristischen Arbeitsmarkt deuten sich jedoch bereits an. Gemeinsam fordern Ladwig und Boll daher: „Umso wichtiger ist eine Stabilisierung der Branche für die Wirtschaftsentwicklung in Schleswig-Holstein insgesamt. Zudem leistet der Tourismus wichtige Impulse für eine weiterhin hohe Lebensqualität der Bevölkerung vor Ort. Auf die verschiedenen Bedürfnisse angepasste Unterstützungshilfen für Betriebe und Kommunen und geeignete Maßnahmen zur Abfederung der Effekte sind von zentraler Bedeutung und müssen daher unbedingt fortgeführt werden“.

Minister Dr. Buchholz appelliert angesichts der belegbaren Erfolge kommunaler Investitionen in den Tourismus: „Kommunen müssen auch weiter in die freiwillige Aufgabe Tourismus investieren, da gerade jetzt Investitionen als Stabilisierung und Impuls für die Tourismuswirtschaft notwendig sind. Fakt ist, dass wir längst noch nicht von einer Nach-Corona-Phase sprechen können, denn die Gesellschaft, Wirtschaft und Tourismusbranche befinden sich noch mitten in der Pandemie.“

Anlass zu vorsichtigem Optimismus geben die Buchungszahlen in vielen Orten und Betrieben für den Rest des Jahres. Für die Modellorte des Kennzahlenprojekts lagen diese im Mai und Juni beispielsweise bei mehr als 100 % über dem Vorjahresniveau und stabilisierten sich im Juli und August weiter.

Buchholz: „Insgesamt hoffen wir, dass eine Reihe von Orten und Betrieben mit einem blauen Auge durch das Corona-Jahr kommt. Leider werden aller Voraussicht nach trotz der umfassenden staatlichen Hilfen dennoch nicht alle Betriebe die Krise überstehen.“ Umso wichtiger sei es, eine zweiten Lock-Down zu vermeiden. „Alle sind an ihrem Platz gefordert, verantwortungsbewusst im Sinne des Infektionsschutzes zu handeln und dennoch die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen, um dringend benötigte Umsätze in den Betrieben zu generieren. Mit sorgfältigen Hygienekonzepten ist auch in Corona-Zeiten Vieles möglich, das zeigen viele Beispiele der vergangenen Monate“, ergänzt Ladwig.